Die ›Vorhersehung‹

Vorgestern war ein Heizungsbauer im Haus, um die installierten Gasthermen zu warten. Die Firma macht dazu stets einen Sammeltermin, so dass möglichst alle Mietparteien in einem Aufwasch abgearbeitet werden können. »Was der Mann wohl macht, wenn er mal muss?«, fragte ich mich, als mir in der Frühe eingefallen war, dass er ja am Spätvormittag in unsere Wohnung kommen würde. »Fragt der dann einfach in der Wohnung, in der er gerade ist, ob er mal darf? Oder schiebt er es lieber auf und erledigt seine Pause in einem Gastronomiebetrieb, und zwar nur deswegen, um das dortige WC zu benutzen?« Bestimmt würde er sich nicht genieren, dachte ich. Doch ob er wählerisch ist? »Ob er versucht, die ›richtige‹ Mietpartei zu erwischen, um angenehmstmöglich zu miktieren oder ggf. gar zu defäkieren? Auch wenn er dafür die eine oder andere Wartung unter Harn- oder gar Stuhldrang vornehmen muss, eine Gasexplosionskatastrophe wegen Wartungsfehlers in Kauf nehmend?«

Und was passiert, als er in unserer Wohnung mit der Wartung fertig ist? RICHTIG: Er fragt, ob er mal die Toilette benutzen dürfte! Als hätte ich es vorausgeahnt. Ich wünsche mir freilich, dass er einer von der wählerischen Sorte war.

Fragen tue ich mich: Gibt es für dieses Phänomen nicht einen Namen? Also sowas wie den Mandela-Effekt (Konfabulation, d. h. die Produktion objektiv falscher Erinnerungen). Oder dass eins irgendetwas recht Spezielles wahrnimmt und das einem*einer dann seltsamerweise in kurzer Zeit gehäuft unterkommt; also sowas wie: »Hä, heute Morgen erfuhr ich, dass mein Schwager gerne Schinkenbrot mit Nutella isst, und jetzt – es schlägt gleich 13 Uhr – lese ich auf [x-beliebige People-Webseite bzw. Teletext-Seite soundso], dass [keine Ahnung …: Hugh Grant?!] auch gerne Schinkenbrot mit Nutella isst?!«

Falls es für meine Heizungsbauer-Klogang-›Vorhersehung‹ einen Namen gibt: Schreibt ihn mir in die Kommis :o)

Ohrwurm-Erzfeind

Okay, ich schreibe es jetzt mal auf, vielleicht bringt’s was: Seit 20 Jahren kommt mir immer mal wieder das 20 Jahre alte Lied »We Will Rise« der Death-Metal-Band Arch Enemy in den Sinn. Diese Band mit der in diesem Genre ungewöhnlicherweisen Frontfrau gefiel mir damals recht gut, wenngleich mir der Power-Metal-Anteil der den Song enthaltenden Langspiel-CD etwas zu hoch war. Vor 20 Jahren hatte ich, das sei dazugesagt, meine ausgeprägteste, nämlich die juvenile Metal-Phase und mich immer gefreut, wenn das Musikvideo bei VIVA plus’ »Get the Clip Rock« gezeigt wurde.

(Laut diesem Blog war das im Zeitraum 03/2003–12/2005 zwar nur einmal der Fall, was ich allerdings bezweifle. Bewundern tu ich allerdings das Blogprinzip von lipglossjunkie01, nichts als Voting-Cliplisten von vivaplus.tv und mtv.de aus den Jahren 2002–2009 aufzuführen.)

Um zum Anfang zurückzukommen: Genauer gesagt kommen mir von Zeit zu Zeit bestimmte Verse dieses Songs in den Sinn: »In this sea of mediocrity / I can be anything / Anything I want to be« (hier, der Link führt zu der Stelle bei 1:44). Und wie eh und je verlautbart die Stimme der Sängerin Angela Gossow in meinem Kopf guttural: »I can peeee anything / Anything I want to peeeeeee«. Was ja auch zur Metapher »sea of mediocrity« recht gut passt. Nun ja, immerhin pisst wisst ihr’s jetzt!

Der Treffkompromiss

Mit einem Kommilitonen wollte ich mich mal um 11:45 Uhr in der Mensa treffen, er aber schon um 11:30 Uhr. Weil er ausgemachter Neurotiker war, fing ich zur Gaudi an, zu handeln. 11:42 Uhr konterte er freilich mit 11:33 Uhr und so weiter. So dass wir schließlich bei 11:37:30 Uhr landeten. Wann genau wir uns dann tatsächlich trafen, weiß ich nicht mehr, ob wir beim Treffen scherzhaft auf die Uhr gekuckt haben, auch nicht mehr. Jedenfalls hätten wir wohl beide lieber direkt in der – hands down – Klapsmühle einchecken sollen.

Stehgreif

Kürzlich benutzte ich mal wieder das Wort Stegreif (die Älteren mögen sich erinnern). Und immer, wenn ich das tue, muss ich an eine Mathe-Extemporale aus der 8. Klasse denken, über die ich, jung und dumm und ungebildet, wie ich war, »Stehgreifaufgabe« geschrieben hatte, was der Mathelehrer mit einem Strich durchs »h« nebst der Bemerkung »Man steht nicht dabei!« versehen hatte. Seitdem weiß ich’s!

Viel besser als die alberne Begründung des biederen, schnauzbärtichten Herrn H. ist, was das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache aus Wolfgang Pfeifers Etymologischem Wörterbuch zu präsentieren weiß: »Stegreif m. ›Steigbügel‹, heute nur noch in der Wendung aus dem Stegreif ›ohne Vorbereitung, ohne lange Überlegung‹ ahd. stegareif (11. Jh.), mhd. stegereif ›Steigbügel‹ (vgl. mnd. stēgerēp, mnl. stēghereep, aengl. stigrāp, engl. stirrup, anord. stigreip) ist eine Bildung zum schwachen Verb ahd. stegōn (um 1000), mhd. stegen ›gehen, (auf-, empor)steigen‹ […] in Verbindung mit ahd. mhd. reif ›Seil, Strick, Streifen, Band, Fessel, Ring‹ […].« (»Stegreif«, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Stegreif>, abgerufen am 27.06.2023.)

Besonders super: Stegreif, also ursprünglich ein Seil mit Schlinge, sei bis ins 18. Jh. üblich geblieben, aber vom 17. Jh. an durch Steigbügel verdrängt worden. Der übertragene Gebrauch aus dem Stegreif ›ohne Vorbereitung‹, eigentlich ›ohne vom Pferd abzusteigen‹ – oder, da sind sich die Etymolog*innen nicht sicher, doch: ›sofort nach dem Absteigen‹? –, habe im 18. Jh. Geläufigkeit erlangt. Zu vgl. sei – und jetzt kommt der HAMMER! – schon das seit dem 16. Jahrhundert belegte sich in, aus dem Stegreif nähren ›als berittener Wegelagerer leben‹!!! (Vgl. ebd.!!!!!)

P.S.: Eigentlich erstaunlich, dass noch keiner der notorischen Bildungshuber (der, und hier stimmt’s in gewissem, wenn auch nicht wörtlichem Sinne einmal: selbsternannten Edelfedern) aus dem politischen Qualitätskommentariat für bspw. Thomas Kemmerich (FDP) den Ausdruck Stegreifhalter in die Tasten gehämmert hat.

P.P.S.: Warum heißt es flugunfähiges mythisches Mischwesen und nicht Stehgreif

David gegen DB AGoliath

Da sage noch eine*r, Komik und Satire bewirkten nix: Am 6. März 2016 beschwerte ich mich auf dieser Webseite über den Lautsprecher-Hinweis der Deutschen Bahn, das Rauchen am Bahnsteig sei »nur in den gekennzeichneten Raucherbereichen gestattet« (Beweis). Denn der Satzmelodie zufolge müsste es auch nicht gekennzeichnete Raucherbereiche geben. Keine siebeneinhalb Jahre später spielt die DB auf mein Mahnen und Warnen hin über die Bahnsteiglautsprecher die aktualisierte, korrigierte Fassung ab: »Hinweis: Das Rauchen am Bahnsteig ist nur in den gekennzeichneten Raucherbereichen gestattet.« Und was kriege ich dafür? Ein Danke? Ein »Lieblingsfahrgast«-Schokostückchen? Eine 1.-Klasse-ProbeBahnCard, mit der ich als 2.-Klasse-BC-Inhaber und Nicht-wenig-Fahrer regelmäßig postalisch belästigt werde, statt dass man mir eine Freifahrt oder immerhin ein Freigetränk oder eine Brez’n oder ein Eis springen ließe?

Nein.

Nix!

»Danké«, Volker Wissing und Richard »Bahnchef« Lutz.

P.S.: Bitte ehrlich sein: Wer hätte aus dem Stegreif den Vornamen Bahnchef Lutz’ sagen können? Also ich nicht. Jetzt, wo ich ihn weiß, schwelge ich umso sphärischer, Schmarrn: schwärmerischer in der Vorstellung, Herr Lutz werde zuhause – von den drei erwachsenen Kindern rotzfrech, von der Ehefrau zärtlich-neckend – »Bahnchef« gerufen.

Wie lieb¹!

Sitze ich also in der kleinen Großstadt, in der ich arbeite, morgens vor acht Uhr im Bus zur Arbeitsstätte, er ist VOLL mit Schüler*innen. Ich sitz in nem 4er und wundere mich, warum das Mädchen gegenüber ihren Rucksack immer noch auf ihrem Nebensitz stehen hat und v. a. ständig einen Fuß auf den Sitz neben mir stellt. Stellt sich nach ein paar Haltestellen raus: Weil sie einer Freundin einen Platz freigehalten hat 😭😭😭🥲🤝 Alle anderen aufm rappelvollen Gang müssen weiterhin stehen hehe 🫡

¹ Bzw. nicht.

Von lat. evanescere ›dahinschwinden‹

Gestern zufällig gesehen, dass beim diesjährigen Rock-im-Park-Festival die Band Evanescence Teil des Line-ups gewesen war. Kaum etwas könnte mir wurschter sein. Doch ist es notierenswert, denn ich kann sagen: »Evanescence bei Rock im Park? Die habe ich dort schon vor 20 Jahren gesehen!« Bei meinem zweiten und letzten RiP-Besuch 2003 nämlich.

Sängerin Amy Lee war damals 21 Jahre alt und von der schieren Menschenmenge im Nürnberger Fußballstadion völlig überwältigt. In einer Songpause holte sie einen Fotoapparat hervor und bat das Publikum, auf ihr Zeichen etwas für ein Erinnerungsfoto zu machen, wahrscheinlich die Hände hochreißen. Auf den mordshohen Videoleinwänden links und rechts der Bühne war zu sehen, wie sie sich beim Fotomachen – den Apparat mit ausgestreckten Armen übern Kopf hochgehalten – freute wie ein kindergarten child. Ob sie das Foto wohl noch hat? Ob sie es jemals veröffentlicht hat? Ob es überhaupt jemals entwickelt worden ist? Fragen, die altersmäßig diesjährig erstmalige RiP-Besucher*innen teilweise gar nicht mehr verstehen. Weil sie vor 20 Jahren noch gar nicht entwickelt auf der Welt waren.

Die objektiven Nachteile von ICs gegenüber ICEs

  • Die „Tische“ der Vierersitze sind echt nur frühstücksbrettchengroß.
  • Es gibt keine Sonnenschutzrollos an den Fenstern. Die Sonne haut einem z. B. früvormittags erbarmungslos ins Gesicht, wenn man schlecht sitzt.
  • Wagennummer im Inneren nicht erkennbar (= kein cOmFoRt cHeCk iN, ohne noch mal aufzustehen)
  • Man kommt sich vor wie ein Mensch dritter Klasse. Beim Ausstieg zeigen sogar die Regionalbummelbahnfahrer*innen mit den Fingern und lachen.
  • Die Außenwände der Züge sind lieblos unkreativ senkrecht, nicht so cool gewoelbt wie bei ICEs. Das Waggondach hingegen ist wulstig wie in der Transsibirischen Eisenbahn 1837.
  • Es gibt viel weniger Vierersitzplätze als in ICEs. Hier geht es offenbar nur darum, möglichst viele Personen (z. B. Fußballfans und Fahrradfahrer) hin und her zu fahren, die sich gefälligst mit einer Rückenlehne vor der Nase statt mit cugewandten leeren Sitzen oder gar attractiven Personen gegenüber zu begnügen haben.
  • In den Closetts nur Gebläse statt vernünftiger Trocknungspapeterie.
  • Als Seifenspender ist eine Art Pfeffermühle installiert. An der muss eins drehen, dann rieselt Seifenpulver herunter, das wohl von einem massiven Seifenblock abgeraspelt wird. Das muss man dann erstmal mühsam zu Schaum verreiben, wobei eins nie alle Körner wegkriegt. Unangenehm. Und es ist wohl einfach eingetrocknete HAKA Neutralseife, jedenfalls stinkt sie so.
  • Der Mann des Vierersitzes neben mir kam von einem kleinen Ausflug zurück und torkelte erst mal bei mir rein und gegen meinen Koffer, bevor er in sein Gelass sank. Um 10 Uhr vormittags und wir fuhren nicht mal eine Kurve. Das passierte mir in würdevollen Zügen nie.
  • In Fulda steigt tatsächlich einer ein und hockt sich in den Vierer nebenan, der in der hinteren Jeanshosentasche zwei Tageszulassungs-Nummernschilder mit roter Nummer stecken hat! Im Verein mit seinen willkürlichen, unmöglich anders als blindlings ausgesuchten Nike-Turnschuhen und der dunkelgrünen Frühlingsjacke, offen, mehr als lächerlich. Unter keinen Umständen darf sich jemand solche Schilder einfach in die, pardon: Arschtasche stecken! Wenn nicht mindestens ein Beutel zur Hand ist, dann müssen die in der Hand mitgeführt werden. Das ist ja wie bei Matthias K., dem Typen aus der Realschule damals, der seine mit mittelscharfem Sempft freilich überquellend bestrichenen Leberkäsesemmeln vom Pausenverkaufsstand hinaus auf den Pausenhof in der Hosentasche transportiert hat. Ich muss es noch mal schreiben, so wenig glaublich ist das: Eingesempfte Leberkäsesemmeln in der Hosentasche transportiert. Aber zurück zum Fahrgast: Es würde mich nicht wundern, wenn ihm schlicht polizeilich verboten wurde, am Straßenverkehr teilzunehmen. Stellt sich qua Handytelefonat raus, er ist Gebrauchtautohändler. Er exemplifiziert ihn: Den ideellen Gesamt-IC-Fahrer!
  • Unser Halt in Fulda verlängert sich, »da«, so die Schaffnerin über die Lautsprecher, »Fahrgäste nicht aussteigen.« Die einfachsten Sachen beherrschen sie nicht, die IC-Benutzer*innen!

Meine Forderungen sind so schlicht wie unmittelbar einsichtig: ICs abschaffen. Die »1. Klasse« der ICEs egalisieren. Gleiche Fahrt für gleiche = alle Menschen. Die abgeschafften ICs können meinetwegen im Ruhrgebiet als S-Bahnen benutzt werden.

Lel mit URL

Mit 14, 15 Jahren, damals, um die Jahrtausendwende, fand ich sie lustig, die Idee, die Webseite der Bullyparade unter der URL http://www.bullypara.de¹ anzusiedeln.² Irgendwann später nicht mehr, solche Jokes bringen’s dann doch immer nur kurz.

Dennoch sträflichst verpasst wurde von der – wer kennt sie nicht! – schwedischen Folk-Progressive-Metalband Vintersorg ihre Seite unter, na?, http://www.vinters.org oder gar http://www.inters.org zu beheimaten. Wo solche Metalleute doch eigentlich hinter ihren grimmigen Misanthropenfassaden oft recht humorige Gesell*innen sind.

¹ Heute existiert die Seite nicht mehr. Und für die Wayback Machine des Internet Archive fehlt meinem mobilen Browser irgendein Plugin zur Anzeige.
² Ach komm, weil der Satz noch nicht ausreichend englisch bekommat ist, hier noch ein paar Kommas: , , , ,,, , ,,,, ,, ,.