Wie ruiniert die Reklame-Industrie ist: Aus schierer Verzweiflung, über kein unverbrauchtes, einigermaßen sinnvolles und gegenstandsnahes Sprachmaterial mehr zu verfügen, zwingt sie eine*n, bei Gelüsten nach einem Erdbeereishörnchen am Schöllerstand ein »extrême Erdbeer« zu bestellen.
»Und Jesus sprach zu ihnen: Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!« (Markus 1,17) Imo hätte Jesus sich die komplizierte sprachliche Verrenkung »Menschenfischer« sparen und stattdessen viel hübscher sagen können: »Folget mir nach; ich will euch zu Menschern machen!«
Gestern Abend beim Bügeln ließ ich den Fernseher laufen. Weil der Sommer vorbei ist, bügelte ich endlich den kleinen Berg Leinenhosen und -hemden, der seit ’ner Woche oder so darauf gewartet hatte. Was schaute ich mir nebenbei an? Berichterstattung zum Tode von Queen Elizabeth II. natürlich! Gleichwohl ich für die weltweite Abschaffung sämtlicher Monarchie und Adelsstände – noch wenn sie ›bloß‹ repräsentativer Natur sind – bin,¹ hat das Ableben dieser im Positiven wie Negativen Jahrhundertperson dennoch Aufmerksamkeit verdient. Meine beiden Highlights in der ARD-Sondersendung Brennpunkt:
(1) Das entzückend behämmerte Jackett meiner Lieblingskorrespondentin der Tagesschau, der wunderbar schrillen Annette Dittert:
Ich meine, wie sehr kann individuelle, extravagante Privatkleidung Nationalverbundenheit, Trauer und die eigene Exzentrik ausdrücken?
(2) Der Name der »ARD-Königshausexpertin« (allein, dass es sowas gibt): Leontine von Schmettow.
Weil er so schön ist, noch mal: Leontine von Schmettow.
Ich meine: L e o n t i n e – welch wunderbar aristokratisch-exzeptioneller Vorname! – v o n – dem Expertinnentum ist Zugehörigkeit der in Tat und Wahrheit Gräfin in dem Falle doch sehr von Vorteil! – S c h m e t t o w – wuchtig im Aufschlag wie Wittelsbach und Nassau, und mit stummem, allenfalls zart hauchgeformtem W doch sanft im Ausklang wie Windsor!
¹ Die Menschheit auf Dauer erhalten könnte meines Erachtens nur weltweiter Sozialismus. Weil der so schnell kaum zu haben sein dürfte, sollte es erstmal immerhin ubiquitäre Demokratie sein, aber keine »marktkonform«-kapitalistische. Am kapitalistischen Absolutismus geht die Menschheit, wir erleben es, zugrunde.
So hübsch die Cover der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft auch sind und so hohen Wiedererkennungswert sie mit der immergleichen Schriftart »Times Modern« (Willy Fleckhaus/Rolf Staudt) in den verschiedensten Farben vor schwarzem Hintergrund haben, so sehr kann ihre Idiosynkrasie, Autor und Titel oder Ober- und Untertitel typografisch nicht voneinander abzusetzen, Probleme mit sich bringen. Im vorliegenden Beispiel die Frage: Wie heißt dieses Buch, was ist Ober- und was Untertitel?
Ist es a) Materialien zur ästhetischen Theorie Th. W. Adornos. Konstruktion der Moderne oder ist es b) Materialien zur ästhetischen Theorie. Th. W. Adornos Konstruktion der Moderne? »Ach geh, da schau ich doch schnell beim Verlag nach«, denke ich, und stoße dort auf Lösung b:
Bis ich den Buchrücken sehe! Ihm zufolge ist es eindeutig Lösung a:
Vollends von Antwort a überzeugt mich – philologische Kolleg*innen werden mich sowohl für die anfängliche Internetschauerei als auch den Blick auf den nicht zitierfähigen Einband¹ schelten –, vollends überzeugt mich also der Blick ins Impressum. Dort steht:
»CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos, Konstruktion der Moderne hrsg. von Burkhardt Lindner u. W. Martin Lüdke. 1. Aufl. – Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1980.«
Na, da hat sich am Ende alles doch noch geklärt. Erstaunen tut’s mich nicht, ist es schließlich nur ein weiteres Glied in der laaangen Kette von Suhrkamps Sonderbarkeiten wie diesen:
Sollte jemand vom Suhrkamp Verlag diesen Beitrag lesen: Ich würde freilich trotz alledem bei euch publizieren. E-Mail-Postfach ist offen!
Ach, eine Sache zu einem der Herausgeber noch, weil eine Freundin sich neulich fragte, ob Theodor W. Adorno in Literaturverzeichnissen statt unter A wie Adorno nicht vielmehr unter W wie W. Adorno eingeordnet werden müsse, da sein Mittelinitial W. nicht für einen abgekürzten Vornamen steht, sondern für Wiesengrund, seinen ›abgelegten‹ Geburtsnamen väterlicherseits (Adorno hatte seine Mutter geheißen)², sei hier gefragt: Ob der eine Herausgeber des obigen Bandes, W. Martin Lüdke, in voller Länge Wiesengrund Martin Lüdke heißt?
Herzliche Grüße W. A. Maria Lugauer
¹ Schon im ersten Semester schärfte mir ein Linguist ein, zitierfähig sei erst die Titelseite nach dem Schmutztitel eines Buches, die sich i. d. R. auf S. 3 des Buchblocks befindet. Denn alles andere könne ja abgerissen/verschmutzt werden. ² Auweia, meine auf Twitter diesbezüglich geäußerte launige Bemerkung brachte mir den heiligen, barsch und unwirsch geäußerten Zorn eines alten Leiters des FAZ-Geisteswissenschaftsressorts ein!
Side project: Ich werde die Namen sämtlicher Würzburger Bushaltestellen als Audiofiles aufnehmen und dann über eine solche Buchse ins künstliche WVV-Gehirn uploaden. Niemand soll mehr einen Ausstieg verpassen, weil im Bus entgegen der Fahrtrichtung keine Stationsanzeigen angebracht sind und die aktuellen, aus papierdünnen Kinderstimmchen bestehenden Ansagen schon vom Motorengeräusch zerrissen werden.
01.04.2022 | MDR: Schlager des Monats – Nino de Angelo sieht aus wie eine Mischung aus James Hetfield und Lars Ulrich, und seine Musik klingt wie die des Grafen von Unheilig?!