Das eine ? und das (die) mysteriöse(n) Landgericht(e)


In SPIEGEL-eigener Sache: »Über unsere Rammstein-Berichterstattung«, 25.07.2023

Der Spiegel ist nicht in der Lage, präzise anzugeben, wie viele Landgerichte es hierzulande gibt? Oder ändert sich die Zahl in solcher Frequenz, dass es nicht möglich ist? Gibt es wohl Fade-in-fade-out-Gerichte, die ähnlich der Black Lodge in Twin Peaks nach übernatürlichen Gesetzen erscheinen und verschwinden? Oder, weil das dann doch zu sehr herbeigesponnen ist, hält sich ein (oder mehrere) Landgericht(e) für was Besseres und erhebt sich eigenmächtig zum Oberlandesgericht, was dann – mal schneller, mal langsamer – superinstanzlich wieder ›kassiert‹ wird? Ganz ehrlich: Mir wurscht.

Im Übrigen mag es beim Spiegel Usus sein, solche Sachen in der Rubrik »SPIEGEL Backstage« zu veröffentlichen. Dass das im Falle Rammstein nicht einer gewissen Pikanz entbehrt,  n u n  j a … (Credits für diese Beobachtung an Philip Saß.) Im Übrigeren gehört der Band meiner Meinung nach das Handwerk gelegt. Mögen die Gerichte weise urteilen.

Megatrend Megatrend

Die Stadt, in der ich arbeite, wurde vor über 20 Jahren von einer Männerzeitschrift zur männerfreundlichsten Stadt Deutschlands gewählt Männer Männermännermänn. Und ich arbeite nicht in hERmAnNstadt. (Offenlegung: Hermannstadt liegt in Rumänien und heißt auf Rumänisch Sibiu. Sibiu ist nicht etwa Rumänisch für »Hermannstadt«, sondern geht zurück auf Säbin, was ›sich freuen‹ bedeutet und zugleich der Name des bulgarischen Herrschers der Jahre 765–767 war.)

Der – natürlich – »Kampf um den begehrten Titel« wurde sogar in fünf Disziplinen ausgetragen: Fitness, Lebensart, Gesundheit, Beruf und Partnerschaft mit, mann wollte offensichtlich keine Dummheit auslassen: insgesamt 36 Einzelkriterien. Die Stadt schämt sich dieser Prämierung nicht, sie rühmt sich sogar damit. Nun ja, wem beispielsweise die Lebensweise in diesem Land allerorten nicht männlich genug ist, der ziehe in diese Stadt.

Sich selbst als männerfreundlichste Stadt rühmt man sich beispielsweise in einer nach allen Regeln der künstlerischen Fehlgriffe gestalteten PowerPoint-Präsentation zum demografischen Wandel, verantwortet teilweise von, und da zog es mir vor Lachen die Schuhe aus, »Zukunftsforscher« Matthias Horxxx Horx. Hahaha: Eine der Folien zeigt eine alte Frau auf einem BMX, die, mit dem Hinterrad auf der Brüstung einer Aussichtsplattform in den Bergen stehend, gerade zum Sprung in die Tiefe ansetzt bzw., der Schal flattert, doch auf den Abgrund zu rast. In riesigen Lettern plärrt die Folie »Megatrend Downaging«.

Übertroffen wird diese Folie nur von der ersten inhaltlichen: Sie zeigt eine Frau mit yogamäßig zum V nach oben gestreckten Armen von hinten beim Blick in die Berge. Titel, ich lüge nicht: »Megatrend Frauen«. Ein feines Gespür brauchst du schon, wenn du als Zukunftsforscher reüssieren willst.

Nun sollte dieser Beitrag eigentlich die Autofreundlichkeit wie Radfahrer- und Fußgängerfeindlichkeit dieser Stadt, die sich u. a. in ganz grauslichem ÖPNV und albern langen Pedestrialampel¹-Rotphasen niederschlagen, zum Gegenstand haben. Doch dann hat mich der Aufhänger »männerfreundlichste Stadt« zu sehr in Beschlag genommen. Darum über jenes ein andermal. Evtl. dann auch was zur »Zukunftsforscher«-Familie Horx, schon weil die Familienmutter mit Oona Horx-Strathern einen Namen trägt, der eine*n vermuten lässt, sie sei aus dem Jahre 2438 durch die Zeit zurückgereist und mache es ihrem Zukunftsforschermann und den beiden Zukunftsforschersöhnen arg leicht, Megatrends der Zukunft zu präsentieren.

¹ Manchmal könnte ich mich selber watschen für so einen Schmarrn.

Kurz notiert (136)

Gourmet der sich schnell Auster-Ruhe bringen lässt

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Danke, Fürst Bescheidsagen!

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Wer gewönne das Stadtderby Inter Rogativum vs. AC Rogativum ❔❓

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Die spinnerte Idee ohne Aussicht auf Erfolg: Ein Handy im Kinder-Pingui-Format

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Schießeisen von Shiseido❔❓

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Humbrecht Öko (Umberto Ecos Name, aus dem Italienischen übersetzt von Andreas Maria Lugauer)

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Stehgreif

Kürzlich benutzte ich mal wieder das Wort Stegreif (die Älteren mögen sich erinnern). Und immer, wenn ich das tue, muss ich an eine Mathe-Extemporale aus der 8. Klasse denken, über die ich, jung und dumm und ungebildet, wie ich war, »Stehgreifaufgabe« geschrieben hatte, was der Mathelehrer mit einem Strich durchs »h« nebst der Bemerkung »Man steht nicht dabei!« versehen hatte. Seitdem weiß ich’s!

Viel besser als die alberne Begründung des biederen, schnauzbärtichten Herrn H. ist, was das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache aus Wolfgang Pfeifers Etymologischem Wörterbuch zu präsentieren weiß: »Stegreif m. ›Steigbügel‹, heute nur noch in der Wendung aus dem Stegreif ›ohne Vorbereitung, ohne lange Überlegung‹ ahd. stegareif (11. Jh.), mhd. stegereif ›Steigbügel‹ (vgl. mnd. stēgerēp, mnl. stēghereep, aengl. stigrāp, engl. stirrup, anord. stigreip) ist eine Bildung zum schwachen Verb ahd. stegōn (um 1000), mhd. stegen ›gehen, (auf-, empor)steigen‹ […] in Verbindung mit ahd. mhd. reif ›Seil, Strick, Streifen, Band, Fessel, Ring‹ […].« (»Stegreif«, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Stegreif>, abgerufen am 27.06.2023.)

Besonders super: Stegreif, also ursprünglich ein Seil mit Schlinge, sei bis ins 18. Jh. üblich geblieben, aber vom 17. Jh. an durch Steigbügel verdrängt worden. Der übertragene Gebrauch aus dem Stegreif ›ohne Vorbereitung‹, eigentlich ›ohne vom Pferd abzusteigen‹ – oder, da sind sich die Etymolog*innen nicht sicher, doch: ›sofort nach dem Absteigen‹? –, habe im 18. Jh. Geläufigkeit erlangt. Zu vgl. sei – und jetzt kommt der HAMMER! – schon das seit dem 16. Jahrhundert belegte sich in, aus dem Stegreif nähren ›als berittener Wegelagerer leben‹!!! (Vgl. ebd.!!!!!)

P.S.: Eigentlich erstaunlich, dass noch keiner der notorischen Bildungshuber (der, und hier stimmt’s in gewissem, wenn auch nicht wörtlichem Sinne einmal: selbsternannten Edelfedern) aus dem politischen Qualitätskommentariat für bspw. Thomas Kemmerich (FDP) den Ausdruck Stegreifhalter in die Tasten gehämmert hat.

P.P.S.: Warum heißt es flugunfähiges mythisches Mischwesen und nicht Stehgreif

Durchblicker-Dialog

Stets dabei, doch benutz’ ich es nie:
Das seidige Putztuch im Brillenetui.

Andreas, put your pride aside
And sorg per Tuch für Sauberkeit!

Philip, dass es dich nicht fälschlich deucht:
Ich putze schon, gar täglich feucht!

Andreas, hörtest du das laute Hallen?
Da ist ein Stein von meinem Herz gefallen.

Ich hört’ es nicht, ich sah
Es durch die Brille (klar)!

Das geht mit einer Brille? Woah!
War das die Apple Vision Pro?

Nein, nix so Neumodern-Geniales,
Das Ding ist so ein gläsern-alt rurales.


Offenlegung: Die kursiv gesetzten Verse stammen von Philip Saß (https://dasgedichtderherrschendenklasse.blogspot.com/).